die Farn - La Casarana  
 
 

BIOGRAPHIE

    
Michael Binder, 1977

 
 

Geboren am 01.09.1937 in Berlin. 1959-1961 Studium an den Akademien Freiburg und Karlsruhe bei Meyboden und Arnold. Seit 1969 freischaffend in Dietersheim bei München tätig, lebte danach in Bremen. Er lebte und arbeitete als Künstler in Süditalien.

Michael Binder sagte einmal über sich selbst: ,,Ich beschäftige mich hauptsächlich mit Landschaft und Figur. Beide Themen sind für mich Möglichkeiten, Zugang zu mir und anderen Menschen zu finden. Wenn es mir gelingt, Landschaft als dem Menschen analoge, psychische Struktur darzustellen, dann gelingt es mir, ein primär wortloses Einverständnis bildhaft darzustellen, das Einverständnis zwischen mir und dem Bild und darüber hinaus zwischen mir und dem Betrachter. Der Abgrund, der zwischen Mensch und Natur klafft, wird in meiner Malerei bestritten. Ich postuliere den Menschen mit den Dimensionen einer Landschaft. - Eine Landschaft ist nicht neurotisch."

Michael Binder ist am 08. Juni 2018 auf seinem Anwesen in Apulien/Italien gestorben.

 

 
 

AUSSTELLUNGEN
1967 Gesellschaft für Freunde Junger Kunst, Baden-Baden
1970 Große Kunstausstellung München
1972 Große Kunstausstellung München
1974 Galerie Gunzenhauser, München
1875 Galerie "Die Treppe", Lahr
1976 Große Kunstausstellung München
1977 Galerie Lutz, Stuttgart
1977 Kabinett Grisebach/Grewenig, Heidelberg
1977 Kunstverein München (mit Bindl und Wachter)
1977 Deutscher Künstlerbund
1978 Landesmuseum Oldenburg (mit Klepsch und Evas)
1978 Städtische Galerie in der "Unteren Schranne",
         Biberach an der Riß
1978 Deutscher Künstlerbund
1979 Galerie Ludwig, München
1979 Kabinett Grisebach/Grewenig, Heidelberg
1979 Galerie Vehring, Syke
1980 Haus der Kunst, München
1981 Galerie Ohse, Bremen
1982 Deutscher Künstlerbund
1983 Galerie Regio, March-Hugstetten
1983 Deutscher Künstlerbund
1985 A. W. Faber-Castell. Stein/Nürnberg
1986 Hesz & Co Galerie und Kunsthandlung Augsburg
1985 Galerie Stettner Schloß Lörrach
1997 Galerie Ohse Bremen
1999 Galerie Reinfeld Bremen

 

 
 

Vision und Beschwörung: die Malerei des Michael Binder
(Text von Susanne Kurman-Lutz, aus dem Ausstellungskatalog 1977, Galerie Lutz)

Am 1. 9. 1937 wurde Michael Binder in Berlin geboren, doch da er in Süddeutschland aufwuchs sind seine Stimme und Sprache von den heiteren Lauten der südbadischen Landschaft sanft geprägt. Seine Familie erschloß ihm schon früh die Bildende Kunst, die Musik und die Literatur: sein Vater war nicht nur Architekt, sondern auch Maler und Archäologe; die Mutter schreibt über Kunst; der Großonkel war ein bedeutender Museumsdirektor.
Nach dem Abitur studierte Binder ab 1959 Malerei bei den Professoren Meyboden und Arnold an der Akademie Karlsruhe in Freiburg; außerdem studierte er Germanistik und Anglistik. Ab 1961 mußte er für eine junge Familie sorgen, und um seine materielle Existenz zu sichern, absolvierte er noch die Pädagogische Hochschule und wurde Real-Lehrer.Seit 1969 lebt er in Dietersheim bei München.
Die Anfangsjahre ließen kaum Zeit, um sich um einen Kunstbetrieb zu kümmern, der Binder wenig liegt. Zwar beteiligte er sich an einigen Gruppenausstellungen, doch erst 1974 trat er zum ersten Mal vor die Öffentlichkeit mit einer Einzelausstellung in der Galerie Gunzenhauser, München. Die Kritikerin Doris Schmidt schrieb damals in der ,,Süddeutschen Zeitung": er "malt mit einem erstaunlich sicheren Blick für Raum und Reduktionsmöglichkeiten von Bildelementen. Wirklichkeit ist für Binder Anlaß; er setzt das Geschehene um in lyrische Paraphrasen, gewinnt aus Landschaft und Figur eine jeweils dem Thema angemessene Bildstruktur." Allerdings meinte sie auch, ,,solche Bilder zielen auf Vergegenwärtigung von Erinnerung". Wenn man das bis heute vorliegende Werk Binders betrachtet - und es fällt dabei auf, daß ihn seit der Ausstellung 1974 ein stetig zunehmender Arbeitsdrang besessen hat -, so muß man eher sagen, daß jedes seiner Bilder eine in sich abgeschlossene Wirklichkeit ist. Sicher evozieren sie im Betrachter auch subjektive Erinnerungen, wie jedes Bild, ohne Zweifel sind sie lyrisch, doch von einem lyrischen Realismus, der nicht ohne Härte ist.
Stilistisch ahnt man noch die Verwandschaft zum Expressionismus, doch die Distanz ist groß. Auch das Vorbild Morandis ist nicht zu leugnen, besonders in den kreidigen Farben, die Binder oft bevorzugt, doch bei Binder scheint die Farbe weniger der Sichtbarmachung dominierender Bildelemente, sondern mehr der Verhüllung und Verschmelzung zu dienen. Der Mensch und die ihn umgebende Natur, der er zugehörig ist, werden verschmolzen, Ziele werden verschleiert, so wie in "Frau-Wasser-Insel" die Figur der Frau eins mit der sie umgebenden Atmosphäre wird und die Insel als mystisch verhülltes Paradies lockt.

Schon im Jahr 1965 begegnen wir den Themen, die Binder bis heute bewegen. In der ,,Badehütte" verschmelzen Atmosphäre und menschengeschaffene Form zu einem einzigen zart-blauen Leuchten,
wobei die feste Form der Badehütte und das bewegte Meer den gleichen Stellenwert haben. Auch im "Frühstück am Meer" aus der gleichen Zeit gibt es keine hierarchische Ordnung: die Hütte im Vordergrund, die Frühstückenden an einem Tisch, Meer und Himmel sind farblich einheitlich gehalten, und die verschiedenen Elemente - Land, Wasser und Luft -sind nur durch horizontale Striche getrennt. Zwischen 1965 und 1970 entstehen nur wenige Bilder. Für Michael Binder war es eine schwere Zeit, die seine Schaffenskraft teilweise lähmte, in der er aber auch eine innere Weiterentwicklung durchmachte.


1970 entsteht "Der große Taucher". Das quadratische und große Bild - es mißt 123x123 cm - ist auf zwei Farben reduziert, Blau und Weiß, mit denen Binder in subtilen Variationen ihrer Tonwerte alles Wesentliche suggeriert. Der Körper des Tauchers besteht aus den durch die Lichtbrechungen im Wasser verzerrt gesehenen, sich rudernd bewegenden Beinen, die in einen schlanken Unterkörper übergehen. Der Oberkörper und der Kopf der Figur sind nicht mehr sichtbar; sie befinden sich außerhalb des Wassers. Nur die ringförmigen Wellen, die der Taucher beim Durchstoßen der Wasseroberfläche verursacht, bezeugen seine ganze Anwesenheit und Aktivität. Etliche Hände und Füße deuten das Vorhandensein anderer Schwimmer an. Die Form des Tauchers ist von gleicher Aussagekraft und Originalität wie die des "Taucher mit Spiegelung" von Willi Baumeister (1935, Grohmann Nr. 393). Binder hat schon in diesem frühen Werk Farbe und Form erfolgreich auf das Wesentliche reduziert.

Das Thema der menschlichen Figur beschäftigt Binder ständig. 1965 malt er einen "Großen liegenden Akt", der sehr plastisch aufgefaßt in einem durch Punkte und Streifen strukturierten Innenraum gezeigt ist. Das Bild ist dekorativ, doch der Einklang der Bildelemente ist nicht erreicht. 1973 nimmt er das Thema wieder auf, und diesmal gelingt die Arbeit. Es ist ein fast monochromer ,,Schlafender Akt", eine in Weiß, Grau und hellem Greige am untersten Bildrand liegende Frau, die sich
von dem riesigen, gleichfarbigen Himmel über ihr, der vier Fünftel des Bildes füllt, kaum abhebt. Bei längerer Betrachtung empfindet man Himmel und Figur so sehr als eins, daß man sie nur als wortloses Einvernehmen, als schicksalhafte Einheit verstehen kann. Die Darstellung der Hingabe im geistigen und erotischen Sinne ist wohl selten besser und bewegender und gleichzeitig auch kaum unheimlicher gelungen.

Mit dem ,,Kirschenfresser" (1973) zeigt Binder, daß er mit den Strukturen des Laubs und der Beeren, der bukolischen Form des vom Baum umfangenen nackten Kirschenpflückers und einer sehr zurückhaltenden Farbgebung nicht nur formale Aufgaben lösen, sondern eine Parabel von heiterem Witz malen kann.
Die Folge "Frau-Wasser-Insel'', drei großformatige Bilder, ist von großer Bedeutung. Die Bilder demonstrieren auch auf ungewöhnlich deutliche Weise Binders Denkvorgänge. Das Grundthema und die Bildelemente sind auf allen drei Bildern gleich, doch mit jedem weiteren Bild werden sie reduzierter und gewinnen an mythischer Dimension. Der Aufbau der Komposition besteht aus drei Horizontalen: im Vordergrund der Strand, dann das Meer bis zur Bildmitte und darüber der Himmel. Die Figur der Frau ist leicht rechts von der Bildmitte placiert und bildet die Senkrechte. Der Rückenakt der Frau schreitet durch die weiße Gischt der Brandung einer bergigen lnsel entgegen, die in der Mitte des Horizontes sichtbar ist. Das erste Bild der Folge hat eine dunstlose Atmosphäre und ist fast statisch; die Frauenfigur ist plastisch aufgefaßt und wirkt sehr isoliert. Das zweite Bild zeigt die Frau weicher, im Begriff der Verschmelzung mit der Natur; die Szene wirkt bewegter, doch die lnsel ist noch immer unerreichbar. Auf dem dritten Bild geht der Mensch in das Meer ein, das ihn leidenschaftlich umschäumt, nicht um ihm zu drohen, sondern um ihn freudig aufzunehmen und zu erfrischen und ihm nach der Durchquerung das Versprechen der lnsel einzulösen. Es ist ein rauschhaftes Bild, der Duktus der Pinselhiebe ist ekstatisch, es schäumt. Wasser und Atmosphäre, Körper und Geist sind in einem traumhaften Wirbel der Farbe vereint, Vergehen und Wiedergeburt in einem.
Das Thema lnsel taucht in Binders Bildern häufig auf und stellt für ihn immer den Ort dar, wo der Mensch sich seIbst sucht und findet und unverfälscht sein kann. Die lnsel ist nicht als Symbol der Isolation oder des Jenseits zu verstehen. Binder verbrachte jedes Jahr glückliche Wochen auf einer kleinen griechischen Insel, die er in Aquarellen in zartesten Umrissen und lichtgetränkten Farben wieder und wieder darstellte. Immer sind diese kaum handtellergroßen Aquarelle Beschwörungen des Glücks, der Freude und der reinen Schönheit.

Dramatisch und von harter Vitalität sind Bilder wie "Power" (1974). Wie Fäuste ballen sich hier die Farben, bedrängen sich, prallen hart aufeinander. Lila, weiß, blau-schwarz, grau, grün - mit gleichen farblichen Stellenwerten, doch nicht in harmonischer Union. Es ist ein aggressives Bild, das die Elemente der Explosion und des erstickenden Volumens enthält. Die Gliederung ist streng, wie auch in "Das himmlische Jerusalem" (1974), das aber trotz seiner kompositionellen Strenge eine weiche Heiterkeit ausströmt. Auch in "Klassische klassenlose Gesellschaft" (1973) hat Binder ähnliche kompositionelle Mittel angewandt.

Ein Bild, dessen Verwandschaft mit ,,Power" sich nur zögernd erschließt, ist "Bei Siena" (1976). Hier schwellt die Pinie ihre Krone mit einer brutalen Lebenskraft, die durch die hauchzarte Atmosphäre lyrisch gemildert wird, die die große Mauer hinter der Pinie zur Vision der menschlichen Anwesenheit in der Natur werden Iäßt. Es ist ein poetisches Bild. "Was bleibt aber, stiften die Dichter," sagte Hölderlin. "Le repos du guerrier" und ,,Schlaf und Traum des Malers" (beide 1976) gehören zusammen. Beide Bilder beinhalten traumhafte Visionen von Erlösung und Ausruhen. Die großen Köpfe sind von ihren Gesichten überlagert. In "Le repos du guerrier" erblickt der Kopf mit den geschlossenen Lidern sein Grabmal und einen Viadukt, der eine Straße steil in den Himmel und aus dem Bild trägt. In "Schlaf und Traum des Malers" liegt ein abfahrbereiter Dampfer vor Anker. Ein Ziel ist nicht bekannt. Das Lila in "Le repos du guerrier" ist bei Binder eine Farbe der Vision, wir sind ihm schon in "Power" begegnet. ,,Schlaf und Traum des Malers" lebt von einem südlichen Oliv, das Meer und Erde enthält. 1976 ist ein Jahr, das Binder enorme Anstrengungen abverlangt, und "Le repos du guerrier" und "Schlaf und Traum des Malers" sind bewegender Ausdruck seiner Sehnsucht nach Ausruhen. Die schöpferische Kraft des Künstlers ist auch seine Fessel und seine Geißel, die ihn erbarmungslos wieder und wieder bis an die physischen und psychischen Grenzen seines Ich's trieb und die Verleugnung der eigenen und anderer Ansprüche von ihm forderte.

In schneller Folge entstehen im Sommer 1976 neben den großen Ölbildern Dutzende von Aquarellen. In den Malpausen zeichnet Binder fieberhaft, im Herbst beginnt er eine Folge von Radierungen. Er suchte nach neuen Medien, verwendete völlig neue Materialien wie Stoff, Gips und sogar Ähren in einigen seiner Bilder. Das Meer ist wiederum eines der Hauptthemen, und er malte Bilder wie "Sommer", das eine monumentale Frau zeigt, die bis zur Brust aus dem Wasser auftaucht und von ihm umspült ist. Die Farben, oliv und blau mit etwas weiß, sind so reduziert wie die Gestalt, die gleich einem archaischen Standbild die ganze Urkraft der Schöpfung ausströmt.

Den Dualismus des Meeres und des menschlichen Zustands vereinfacht Binder in "Coffin and cradle of a swimmer" zu einer Gleichung des Grauens. Der kleine Schwimmer, wie ein kindliches Strichmännlein gemalt, schwimmt eifrig und ahnungslos über die Wasseroberfläche, die unter und um ihn zu einem Eisblock erstarrt. Die Wiege der Menschheit wird zu ihrem Sarg - "the iceman cometh", der Tod, der sich in Form eines Kubus manifestiert. Das Bild ist fast weiß; Weiß als Totenfarbe, die Symbole Eis und Schnee = Tod sind uns allen vertraut, doch hier hat sie Binder in erschütternder Weise mit neuen Elementen kombiniert und uns das Gruseln neu gelehrt. Die Vieldeutigkeit der Botschaft wird durch den distanzierenden englischen Titel unterstrichen, ein Kunstgriff, den wir bei Binder's Titeln immer wieder finden, die häufig in anderen Sprachen wie Filter zwischen Aussage und Deutung geschaltet sind. Bei "Power" allerdings dient der englische Titel der Präzisierung, keinesfalls der Verschleierung, denn den vollen Gehalt dieses Wortes kann man in Deutsch nicht wiedergeben. Heiter gibt sich der "Schwimmer", ein Nachfahre des ,,Tauchers" von 1970. Ohne Bedrohung genießt er das Erlebnis einer hellblauen warmen See, die ihn sonnenbeschienen und zärtlich aufnimmt. ,,Nausikaa" tritt aus ihrer Höhle. Auch auf diesem Bild ist ein kleines Stück des Meeres zu sehen, das ihre Insel umspült. Das Mädchen ist eine rührende kleine Gestalt, die mit einer schönen Geste ihr Haar ordnet. Kaum körperlich, steht sie in einer schwer definierbaren Atmosphäre aus Licht und Luft. Nur der Höhleneingang scheint Körper und Tiefe zu haben. Ist es doch so, als verlöre man im Augenblick des Verlassens der Höhle, der Geburt, an körperlicher Substanz und gewänne eine Geistigkeit hinzu, die Erkenntnis und damit auch Verunsicherung ermöglicht. Die Dimension der Zukunft trennt den Menschen von der Natur und gewährt ihm nur noch wenige Momente des reinen Seins.

,,Ebene mit Rauch und Schatten" wirkt auf den ersten Blick wie eine heitere, kindliche Buntstiftzeichnung. Der Himmel ist mit wenigen blauen Strichen angedeutet, die Ebene eine Fläche mit unbestimmbarer Topographie. In der Bildmitte am Horizont steht ein weißer Schornstein oder Meiler, der eine schwarze Rauchwolke ausspeit, die sich auf der Ebene als Schatten wiederholt; Rauch, der die Atmosphäre verdüstert, den Sonnenschein ausfiltert, der einen üblen schwefeliggelblichen Geruch hat wie der Smog von Los Angeles, der Menschen tötet. Die Naivität, mit der die Menschen ihrem Untergang begegnen, wie sie ihn unbefangen sehen und ihn häufig sogar "hübsch" finden, ist das Erschütternde dieses Bildes. Ein Gegenpol ist ,,lnsurrection". Formal ist es der "Ebene mit Rauch und Schatten" zuzuordnen. Auch hier die einfache Graffiti-Sprache, Gekrakel an der Wand, Warnung und Aufruf. In den Farben der französischen Revolution explodieren Farbfelder, erheben sich gegen ihre Unterdrücker, wehren sich gegen ihre Auslöschung. Die Menschheit erhebt sich und protestiert gegen ihr selbstgeschaffenes Verderben. Hoffnung oder Untergang, festliches Feuerwerk oder der große Knall der atomaren Vernichtung - die Antwort bleibt offen.

"La fiancee du peintre" ist ein eigenartiges Werk. Ein schmaler vertikaler Streifen in der Mitte des Bildes trägt die Darstellung einer Büste, deren Sockel verwischt ist und deren Haupt eine fast unsichtbare Krone trägt. Dieses Haupt auf einem starken Hals ist keine liebliche Braut; herausfordernd blickt sie den Maler an, ihre ephemere Krone könnte auch eine Narrenmütze sein. Der gemalte Streifen ist links und rechts von unbemalten weißen Stoffbespannungen flankiert. Die Erscheinung hat einen antiken Charakter, im Gegensatz zu ihrer Umgebung wirkt sie plastisch, fest, sicher, während ihr Umfeld in nervösen Pinselhieben gemalt noch eine Gestalt zu suchen scheint. Um sie der leere Malgrund - Versprechen oder Versagung -, der wie ein Bühnenvorhang die Vision entweder ganz enthüllen oder plötzlich verdecken könnte. Die Muse des Künstlers, die Braut des Malers, ist eine grausame Geliebte, der er nicht entkommen kann. Wenn sie sich enthüllt, zeigt sie sich nur fragmentarisch. Es bleibt sein Werk, ihr eine Welt zu schaffen, in der sie zur atmenden Gestalt werden kann. Sie ist das, was die Menschen geschaffen und bewahrt und auch das, was sie vergessen haben.

Michael Binder sagte einmal über sich selbst: ,,Ich beschäftige mich hauptsächlich mit Landschaft und Figur. Beide Themen sind für mich Möglichkeiten, Zugang zu mir und anderen Menschen zu finden. Wenn es mir gelingt, Landschaft als dem Menschen analoge, psychische Struktur darzustellen, dann gelingt es mir, ein primär wortloses Einverständnis bildhaft darzustellen, das Einverständnis zwischen mir und dem Bild und darüber hinaus zwischen mir und dem Betrachter. Der Abgrund, der zwischen Mensch und Natur klafft, wird in meiner Malerei bestritten. Ich postuliere den Menschen mit den Dimensionen einer Landschaft. - Eine Landschaft ist nicht neurotisch." Doch der Abgrund, der zwischen Mensch und Natur klafft, wird nicht nur bestritten, sondern von Michael Binder leidenschaftlich beklagt. In seinen Radierungen "Endstation" und ,,Krieg und Frieden", die vom entmenschlichten und entwürdigten Tod handeln, drückt er apokalyptische Vorstellungen aus: der Tod als Pflug; die Schöpferkraft des Menschen - die das Chaos ordnende Kunst - vielfach gemordet und vom Dunkel bedroht; die Endstation des Menschen in der Intensivstation unserer Krankenhäuser, wo er nur noch als Steckkontakt quälender Apparaturen benutzt und als Objekt ohne Würde und in grausamer Einsamkeit seiner Destination entfremdet wird.

Michael Binder war ein Künstler, der seine Bestimmung darin sah, den Menschen als Teil der Natur zu zeigen, ihn so der Entfremdung von seiner Eigenart zu entreißen und die Begegnung mit der Essenz des Menschseins zu veranlassen. Als Maler hat er eine Formen- und Farbensprache gefunden, die in der Entwicklung seines Werks immer mehr an universeller Verständlichkeit und Originalität zugenommen hat. Seine Sensibilität hat ihn nicht in eine selbsterwählte ästhetische Isolation getrieben, sondern ihn ganz im Gegenteil zu einer leidenschaftlichen Teilnahme an der ,,conditio" des Menschen und seiner Welt geführt. Daß er uns nicht nur den Spiegel unserer Leiden und Schrecken vorhielt, sondern uns auch unsere Schönheit und unsere Möglichkeiten zeigte, ist sein Geschenk an uns.

 
 

 

   

    

 
 


nach oben